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24.10.2022

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6 Min.

Transformation statt Deindustrialisierung

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Inflation, Corona, Kriegsfolgen – Europas Unternehmen werden von externen Störfaktoren gebeutelt. Aber viele weitsichtige Firmen steuern schon seit Langem proaktiv dagegen an – und machen sich so widerstandsfähiger. Das eröffnet Chancen für Anlegerinnen und Anleger.

An diesem Montagmorgen ist es richtig ungemütlich. Noch scheint allein der Mond über der frostigen Ebene des ungarischen Graslandes. Rund 4000 Mitarbeitende strömen eilig durch die Werkstore der Fabrik in Györ; 5.45 Uhr früh, gleich beginnt die Schicht im größten Motorenwerk der Welt. Also schnell raus aus dem eisigen Wind, rein in die Wärme des Arbeitsplatzes.

Zoran Gyurisits ist stolz, dass es überall in den fußballplatzgroßen Hallen so wohlig warm ist. Schließlich schlägt das Wetter hier im westlichen Ungarn oft blitzschnell von Spätsommer auf Frühwinter um. Außerdem ist „in diesen Zeiten eine ungestörte Energieversorgung ja nicht selbstverständlich“, sagt der Koordinator Versorgung. Die Energiekrise hat auch Ungarn im Griff. Doch Gyurisits steuert schon seit 2020 ein komplett klimaneutrales Werk – einmalig in dieser Größenordnung in Europa. Statt mit Gas erzeugt zu werden, kommt die Wärme nun über eine Geothermie-Anlage aus 2500 Meter Tiefe; mehr als 225 Megawatt am Tag, 70 Prozent des Gesamtbedarfs an Wärme. Die größte Fotovoltaik-Dachanlage des Kontinents steuert weitere 12 Megawatt an Strom bei. Eine nachhaltige Unabhängigkeitserklärung von Putins Gas, von Atomstrom oder Kohlekraft.

Und ein großer Erfolg für Audi. Der VW-Tochter gehört die 5 Millionen Quadratmeter große Industrieanlage. Mit der Investition in Dekarbonisierung, geplant schon Mitte der 2010er-Jahre, schlagen die Ingolstädter jetzt der Energiekrise ein Schnippchen.

Der ganze Kontinent kommt in diesen Zeiten nicht aus dem Krisenmodus. Die Jahre der Corona-Pandemie und des Krieges in der Ukraine haben schmerzhaft aufgezeigt, wie fragil die Prozesse  mancher Firmen in Sachen Produktion, Rohstoffe und Logistik aufgestellt sind. „Die Unternehmen stehen vor einer äußerst schwierigen Gemengelage. Rekordpreise für Material und Energie, steigende Zinsen, die hohe Inflation sowie brüchige Lieferketten setzen den Firmen zu“, sagt Sascha Haghani, Leiter der globalen Plattform Restructuring, Performance, Transformation & Transaction (RPT) bei Roland Berger. „Nur über zusätzliche Effizienzsteigerungen ist es für Organisationen in diesem Umfeld kaum möglich, ihre Kosten zu decken. Sie kommen nicht umhin, mit ihren Kunden über Preissteigerungen zu verhandeln.“

Wo das nicht möglich ist, drohen Verluste, sinkende Unternehmenswerte, Insolvenzen, Jobabbau oder Werksschließungen. Besonders hoch ist der Druck dabei nach einer Studie der Consultants von Roland Berger in energieintensiven und vernetzten Branchen wie Automobilindustrie, Einzelhandel, Chemie oder Maschinenbau. Autozulieferer Dr. Schneider, Schuhladenkette Görtz, Chiphersteller Siltronic, Europas größter Stickstoffhersteller Yara International – die Beispiele für Pleiten, Produktionseinstellungen oder ganze Werksschließungen werden mehr. Denn der zeitgleiche Umbau in Richtung Elektrifizierung, digital vernetzte Fertigung oder verstärkter Onlinehandel ist für manche Firmen zu viel. Als größte Risiken sehen die in der Studie befragten Experten und Expertinnen steigende Rohstoff- und Energiepreise, die hohe Inflation sowie geopolitische Spannungen.

Die multiplen Krisen haben den generellen Transformationsdruck zu einem echten Wettrennen angefacht. Siegfried Russwurm, Chef des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), sieht bereits „die Substanz der Industrie bedroht“. Laut einer BDI-Umfrage steht rund ein Drittel aller Unternehmen vor existenziellen Herausforderungen. Aber wie bei jedem Rennen kann zugleich auch hier ein gut trainiertes und vorbereitetes Team neue Chancen nutzen. „So wie Corona ein Booster für die Digitalisierung war, ist der Krieg ein Booster für die Energiewende“, beschreibt etwa der Wettbewerbsökonom Jens Südekum eine mögliche Entwicklung, die gerade Europas Wirtschaft derzeit in Schwung bringe.

„Die Substanz der Industrie ist bedroht“

Siegfried Russwurm, Chef des Bundesverbandes der Deutschen Industrie

Denn das energetisch unabhängige Motorenwerk von Audi ist keine Ausnahme: Überall in Deutschland und Europa arbeiten Unternehmen schon seit Jahren daran, ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber externen Krisen zu steigern und zugleich das Geschäftsmodell in die Industrie 4.0 zu übertragen. Fabriken mit autarker Energieversorgung aus erneuerbaren Quellen vor Ort betreiben bereits auch VW-Konkurrenten wie Mercedes oder Renault. Konzerne wie Bayer, Siemens oder Linde steigen selbst in die Energieerzeugung aus regenerativen Quellen ein. Und nicht zuletzt hat auch ein Überdenken der Globalisierung eingesetzt – etwa durch den Aufbau von Grundstoffindustrien für Mikrochips, Batterien oder Wasserstoff in der Nähe europäischer Standorte.

„Die Unternehmen sind jetzt gerade dabei, ihre Lieferketten zu überarbeiten und die globalisierte Arbeitsteilung neu aufzustellen“, sagt Experte Thieß Petersen von der Bertelsmann-Stiftung. Einer Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) nach sehen sich fast 40 Prozent der Unternehmen nach neuen, näher gelegenen Lieferanten um. Viele planen zudem die Rückverlagerung der Produktion nach Deutschland und an andere europäische Standorte. Beispiele dafür sind die neuen Batteriefabriken in Polen, Deutschland und der Slowakei von CATL und Volkswagen oder die Rückverlagerung einer Jeansproduktion von C&A aus Bangladesch nach Mönchengladbach.

Eine strategische Regionalisierung der Logistikketten sieht auch Christian Kille, Professor für Handelslogistik an der Hochschule Würzburg und Initiator des Rates der Logistikweisen. Der Antrieb dazu seien Druck zu mehr ökologischer Nachhaltigkeit in den Lieferketten, der wachsende Onlinehandel und schnellere Reaktionsfähigkeit auf die schwankende Kundennachfrage. Und dieser Trend ist keine Spezialität europäischer Konzerne: Auch Autohersteller wie Tesla, BYD oder Nio investieren derzeit massiv in Europa. Die Amerikaner haben ihr Werk sogar in Deutschland gebaut, die Chinesen legen ihre Europa-Zentrale nach München – wo IT-Riesen wie Amazon, Google oder Microsoft ebenfalls schon Forschung und Entwicklung ansiedeln.

Politiker haben aus Coronakrise gelernt

Dahinter steht auch hier die Erkenntnis: Wer sich frühzeitig regional breit aufstellt, steht krisenfester da – und zudem nachhaltiger und zukunftsfähiger. Das macht diese strategisch ausgerichteten, börsennotierten Firmen besonders interessant, ist sich Robert Palvadeau sicher. Der Manager des Deka-Nachhaltigkeit DividendenStrategie investiert „in Unternehmen, die bereits in der Vergangenheit bewiesen haben, dass sie in schwierigen Zeiten Kurs halten und Transformationsprozessen erfolgreich begegnen können“. Aber auch mit Fonds wie dem Deka Sachwerte oder dem RenditDeka finden sich für die gestiegenen Anforderungen an Widerstandskraft und Nachhaltigkeit Papiere, die langfristig denkende Anlegerinnen und Anleger verstärkt ins Auge nehmen sollten. So betont etwa Martin Heger, Senior Portfolio Manager bei der Deka, dass sich in Krisenzeiten vor allem bei Unternehmensanleihen oft Chancen ergeben hätten, beispielsweise seien „so manche Bankentitel sehr günstig bewertet“.

Was nachhaltig orientierte Firmen erkannt haben, gilt inzwischen auch für ganze Länder: In Deutschland etwa investiert der Staat im Zuge der Energiewende gerade in eine unabhängige Versorgung mit erneuerbaren Stromquellen, den Aufbau einer Wasserstoff-Wirtschaft und Flüssiggas-Versorgung. Und europaweit bringt Kommissions-Vizepräsidentin Margrethe Vestager neue Instrumente auf den Weg, „mit denen wir rasch gemeinsam reagieren können. So können wir bei jeder neuen Krise sicherstellen, dass unser Binnenmarkt offen bleibt und lebenswichtige Waren verfügbar sind.“ Der Plan soll die Mitgliedsländer im Verbund unabhängiger von Nicht-EU-Staaten machen – und zugleich nach Ausbruch einer Krise möglichst Einschränkungen des Waren- und Personenverkehrs vermeiden.

Der Gesetzentwurf sieht vor, dass Kommission und Mitgliedsstaaten eine Beratungsgruppe gründen, um sich über Risiken für Lieferketten und die Versorgung des Binnenmarkts auszutauschen. Erkennt das Gremium eine Bedrohung, kann die Kommission den sogenannten Überwachungsmodus ausrufen. Wird die Lage ernst, würde der Notfallmodus aktiviert. Dann gilt „Safety first für Europa“ bei der Versorgung mit allem, was der Kontinent braucht.

Gelernt haben die Politiker aus der Corona-Krise, als von der Maske über Schutzhandschuhe bis zum Impfstoff lebenswichtige Produkte nicht oder zu spät verfügbar waren. Gerade bei Medizinprodukten soll darum die Globalisierung zurückgedreht werden. Denn für mehr als die Hälfte aller pharmazeutischen Wirkstoffe gibt es weniger als fünf Hersteller, von denen fast alle in Asien sitzen. Fällt nur einer von ihnen aus, stockt der Nachschub.

Die Bundesregierung prüft daher „Investitionsbezuschussungen für Produktionsstätten, Zuschüsse zur Gewährung der Versorgungssicherheit und andere Maßnahmen, um die Herstellung von Arzneimitteln nach Deutschland oder in die EU zurückzuverlagern“. Hans-Peter Hubmann, der Vizepräsident des Deutschen Apothekerverbandes, rechnet allerdings mit fünf bis zehn Jahren, bis entsprechende Strukturen aufgebaut seien.

Transformation ist keine Hoppla-Hop-Aktion

Doch für die Unternehmen selbst ist ein einfaches Zurückverlagern einer Lieferkette ohnehin nie die einzig wahre Lösung, ist sich Berater Haghani sicher: „Unternehmen müssen mithilfe von Szenarioanalysen die verschiedenen Risikopotenziale aufdecken, um Planungen flexibler anpassen zu können. So können sie gegenüber künftigen Krisen robuster werden und die gestiegene Komplexität besser bewältigen.“ Transformation ist schließlich keine Hoppla-hopp-Aktion – von der autonomen Energieversorgung über robuste Lieferketten bis zur digital vernetzten Produktion. Doch wer jetzt bei seinem Umbau des Unternehmens schon weit gekommen ist, der müsse die nächste Krise nicht fürchten, so Haghani; vorausgesetzt, er paart strategischen Weitblick mit flexibler Aufstellung: „Lineare Planung funktioniert nicht mehr. Unternehmen brauchen zumindest einen Plan B, am besten auch einen Plan C.“

Diese fünf Branchen haben den höchsten Restrukturierungsbedarf

Grafik: KD1

In der Fabrik in Györ arbeiten sie schon daran, etwa mit einer massiven Erweiterung der Fotovoltaikanlagen. „Das Ziel ist Sub-Zero“, sagt Audi-Hungaria-Chef Alfons Dintner; also ein Standort, der in der Summe beispielsweise mehr Strom, Wasserstoff oder Wärme erzeugt, als die eigene Produktion benötigt. Womöglich ließe sich dann mit überschüssiger Energie sogar noch ein neues Geschäftsfeld erschließen. Gut für die Gewinne – und den Zukunftswert für die Anteilseigner und -eignerinnen.

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