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„Robotik macht den Menschen wichtiger“
Das Gesundheitswesen steht vor so tiefgreifenden Veränderungen wie nie zuvor. Welche Chancen und Risiken sich daraus für Pharmaunternehmen, Klinikkonzerne, Technologiefirmen oder Versicherer ergeben – und wie die Zukunft für Patienten oder Ärzte aussieht, darüber spricht Professor David Matusiewicz mit dem fondsmagazin.
Herr Prof. Matusiewicz, künstliche Intelligenz, Service Robotik und Augmented Reality, Cloud Computing und Blockchain-Technologie – da schwirrt nicht nur manchem Arzt oder Patienten der Kopf. Beherrschen digitale Trends inzwischen komplett die Zukunft des Gesundheitswesens?
Auf jeden Fall sind das Technologien, die das ganze Gesundheitswesen exponentiell voranbringen und alle Unternehmen in diesem Bereich an ganz vielen Stellen verändern, effizienter und besser machen werden. Da habe ich selbst gerade erst eine prägende Erfahrung gemacht.
Welche?
Ich war wegen einer Hautveränderung beim Dermatologen. Der hat sich das mit einem Dermatoskop angeschaut.
Eine Art Riesenlupe?
Richtig, die war aber online mit einem KI-Programm im Web verbunden. So hat der Arzt sich live in der Praxis eine Zweitmeinung eingeholt – basierend auf dem Wissen des gesamten medizinischen Internets. Solche vernetzten Instrumente nutzen auch schon Ärzte in der Radiologie, und das wird auch die Kardiologie und viele andere Bereiche deutlich verändern.
Was sind für Sie die drei wichtigsten Innovationen im Gesundheitswesen?
Ich sehe da natürlich zum einen die künstliche Intelligenz. Dazu kommt als zweite Innovation die Robotik, die sowohl bei der Pflege als auch im Krankenhaus enorme positive Veränderungen bringen wird. Gerade erst in der vergangenen Woche war ich in Würzburg und konnte mir live eine Operation anschauen. Und zwar eine ziemlich komplizierte – gleichzeitig ist da an Knie und Hüfte ein künstliches Gelenk eingesetzt worden. Dabei kommt es auf höchste Präzision an, denn da müssen sie genau am Knochen auf den Punkt und in einem bestimmten Winkel fräsen, damit alles hundertprozentig passt.
Und das hat ein Roboter gemacht?
Wie schon mehr als 8000-mal zuvor bei anderen Patienten. Der Roboter von Intuitive Surgical arbeitet dabei nach Einschätzung des Chirurgen so exakt, wie das kaum ein Mensch schaffen könnte – auch deswegen, weil die ganze Operation live und durch den Rechner selbst in einem Computertomografen überwacht wird und das Bild ständig so angepasst wird, dass das Gelenk optimal eingesetzt werden kann.
Gut, da ist der Roboter mein Freund – und ich als Patient bin ohnehin in Narkose. Im Pflegeheim würde ich mir aber lieber einen Menschen an der Seite wünschen.
Den bekommen Sie auch. Es ist doch ein Mythos, dass der Mensch durch Roboter in den Hintergrund tritt. Ich glaube eher, er tritt in den Vordergrund. Gerade weil Roboter Hilfsdienste oder Arbeiten im Hintergrund erledigen können, hat der Mitarbeitende mehr Quality Time für seinen Patienten.
Falls der Pfleger nicht zugunsten des Roboters eingespart wird.
Auch das ist ein Mythos. Das Problem stellt sich doch gar nicht, denn bis 2030 fehlen alleine in Deutschland rund eine halbe Million Pflegekräfte. Es ist also extrem wichtig für das Gesundheitswesen, die Menschen, die hier arbeiten, optimal einzusetzen. Und dafür hilft gerade der Einsatz von Robotik.
Fehlt noch Ihre dritte Top-Innovation.
Da sehe ich Metaverse-Anwendungen mit digitalen Zwillingen.
Was kann ich mir denn darunter vorstellen?
Zum Beispiel einen hoch spezialisierten Chirurgen, der an der Mayo-Klinik in den USA arbeitet. Mit einem digitalen Zwilling und in einer virtuellen Umgebung könnte er zeitgleich sein Know-how bei Diagnostik und Behandlung in Entwicklungsländern einsetzen, wo es solche Ärzte in der Fläche überhaupt nicht gibt.
Die Innovationen, die Sie besonders begeistern, finden ja alle in der digitalen Welt statt. Werden auch mit klassischen Methoden wie Medikamenten oder Bestrahlungen ähnliche Innovationssprünge realistisch – beispielsweise beim Bekämpfen von Geißeln wie Demenz, Krebs oder multiple Sklerose?
Solche Krankheiten beruhen ja oft auf unterschiedlichsten und vielfältigen Ursachen. Aber der Corona-Impfstoff ist ein Beispiel dafür, wie es sehr schnell gehen kann. Da hat es ja nur ein Jahr gedauert, bis wir einen Impfstoff am Markt hatten. Normalerweise dauert das 15 Jahre. Geholfen hat da besonders Genanalyse oder Biotechnologie, aber eben auch hier gekoppelt mit den Möglichkeiten digital vernetzter Systeme. Diese Kombination wird die Medizin dramatisch verändern. Ich bin mir beispielsweise ziemlich sicher, dass man schon in wenigen Jahren für jedes Baby einen Gentest machen können wird. Für das „Go“ stellen nationale und internationale Zulassungsbehörden schon die Weichen.
Wofür soll das gut sein?
So wird es möglich, potenzielle Krankheiten bereits in einem sehr frühen Stadium zu erkennen – und auch zu eliminieren; etwa durch die Genschere. Medizintechnik und Pharmaindustrie gelingt es immer besser, in den Körper hineinzuzoomen. Wir schauen inzwischen bis auf die Ebene einzelner Gene. Und wir haben Technologien, um diese Erkenntnisse miteinander zu vernetzen und weltweit zeitgleich zu nutzen. Das versetzt die Forschung an Universitäten und in der Industrie in die Lage, Medikamente und Therapien mit stark steigender Geschwindigkeit zu entwickeln. In den nächsten Jahren werden wir medizinische Fortschritte sehen, die wir so in Jahrzehnten zuvor nicht erleben konnten.
Ist Gesundheit inzwischen nur noch eine Wachstumsbranche für Tech-Companies?
Das sehe ich nicht so. Im Moment ist es natürlich noch so, dass sich ein Großteil der pharmazeutischen Industrie mit klassischer Chemie beschäftigt. Aber die guten Gesundheitskonzerne denken schon lange weit darüber hinaus und handeln auch so. Denn sie wissen, dass Transformation auch für ihr eigenes Geschäftsfeld gilt. Sie investieren in solche Produkte und Dienstleistungen. Genau das tun fortschrittliche Unternehmen der Branche wie Sanofi oder Bayer.
Auch mit ganz klassischen Pharmaprodukten lässt sich aber offenbar für Unternehmen, Anlegerinnen und Anleger noch gutes Geld verdienen. Novo Nordisk und Eli Lilly haben ja Mittel gegen Adipositas auf den Markt gebracht, mit denen Übergewichtige ohne Diäten, Training oder Operationen wieder schlank werden sollen. Dadurch kam es zu Lieferengpässen und Kranke erhielten keine Medikamente. Ist das die Kehrseite des Erfolgs der Konzerne – oder nur eine Marktübertreibung in einer sonst verheißungsvollen Entwicklung im Gesundheitswesen?
Es gibt immer wieder Fälle, wo Medikamente zu anderen Zwecken, man nennt das „off-Label“, genutzt werden. Viele Menschen haben sich Ozempic mit dem Wirkstoff Semaglutid zum Abnehmen auf eigene Kosten mit Privatrezept besorgt. Damit wurde Ozempic zum Lifestyle-Medikament – und die Situation problematisch für Diabetes-Erkrankte, wenn sie dieses Mittel plötzlich absetzen mussten, weil es aufgrund der angestiegenen Nachfrage nicht verfügbar war beziehungsweise die Produktion nicht nachkam. Das ist ein gutes Beispiel dafür, warum Regulierung auf dem Gesundheitsmarkt sinnvoll ist, und sicherlich führt dieses Beispiel zu Nachjustierungen – zumindest im Verhalten der Verschreibungspraxis der Ärzte.
Adipositas und Diabetes sind ja Beispiele dafür, dass gerade auch in einer alternden Gesellschaft die medizinische Betreuung immer teurer wird. Können digitale Technologien das Gesundheitswesen auch in der Verwaltung effizienter machen?
Sie müssen das. Eine Studie von McKinsey belegt, dass allein die Krankenversicherer durch konsequente digitale Vernetzung bis zu 40 Milliarden Euro im deutschen Gesundheitswesen einsparen könnten – das ist mehr als ein Zehntel der Gesamtausgaben.
Ähnliches gilt sicher auch für die Krankenhauskonzerne – allein in Deutschland sind ja sieben von ihnen an der Börse.
Bestimmt. Ein Arzt verschwendet beispielsweise rund 30 Prozent seiner Arbeitszeit für administrative Aufgaben. Und in der Gesundheitsbranche stecken noch viel mehr Effizienzen, die wir aktivieren können.
Wo sehen Sie diese Potenziale?
Gesundheit ist doch weit mehr als „Abwesenheit von Krankheiten“ – diese Definition der Weltgesundheitsorganisation aus dem vergangenen Jahrhundert ist längst überholt. Bei Gesundheit geht es heute auch um Bereiche wie etwa die soziale Teilhabe. Zum Beispiel für Menschen mit Behinderung. Und um Anbieter, die dafür Lösungen entwickeln. Das ist ja durchaus ein Wachstumsfeld wirtschaftlicher Art. Ein Riesenthema ist zudem die Prävention; auch das ist mehr als die medizinische Vorsorge. Dazu zählen etwa Tracker, Abnehmprogramme oder Fitnessgeräte zur eigenen Gesunderhaltung. Die klassische Medizin kommt erst am Ende. Und das haben viele Handelnde im Gesundheitswesen noch nicht begriffen.
Das heißt?
Ich habe ja Gesundheitsmanagement studiert, damals noch ein exotisches Fach. Und wenn ich meine Professoren im Laufe der Jahre gefragt habe: „Was kann ich denn damit eigentlich werden?“ Dann lautete die Antwort meistens nur: „Krankenhausmanager“. Heute berate ich aber Unternehmen aus der Autoindustrie, der Bekleidungsbranche oder der Möbelindustrie.
In Gesundheitsfragen?
Ja. Weil die den Bedarf längst erkannt haben. Da geht es um den ergonomischen Bürositz oder den optimalen Arbeitsplatz am Band. Oder um Bekleidung für Feuerwehrleute, die den Hitzegrad misst und entsprechende Warnungen abgibt. Oder Sensoren im smarten Büro erfassen die Luftqualität – und verlegen das Meeting in einen anderen Raum, damit nicht zu viele Menschen an einem Platz sind. So bleiben Mitarbeitende länger fit. Und das ist angesichts der Fachkräfteknappheit ein wichtiges Thema. Gesundheit steckt heute einfach überall drin. Und ein Gesundheitsmanager sorgt dann beispielsweise dafür, dass es bei BMW an einem Standort nicht nur eine Kindertagesstätte gibt, sondern auch eine Tagespflege für die Angehörigen einiger Mitarbeitender. Die kostbaren Fachkräfte brauchen jetzt nicht mehr gezwungenermaßen die Arbeitszeit zu verkürzen. So erhöht Gesundheitsvorsorge die Produktivität im Unternehmen.
Eine schwedische Studie benennt neben Digitalisierung und effektiveren Behandlungen auch die Folgen des Klimawandels und die Nachhaltigkeit als Treiber des Gesundheitswesens der Zukunft. Sehen Sie das ähnlich?
Vor fünf Jahren hat das so keiner in Verbindung miteinander gebracht. Aber inzwischen haben wir gesehen, dass Faktoren wie Klimawandel oder globale Bedrohungen eben nicht so abstrakt mit dem Gesundheitswesen zusammenhängen, wie wir das fälschlicherweise gedacht haben. Erst vor ein paar Tagen hat mir ein Arzt gesagt: „Heute ist wieder ein heißer Tag, darum werden mehr Menschen sterben.“ Denn das Blut ist an solchen Tagen dickflüssiger und es gibt deswegen mehr Thrombosen. Was ich damit sagen will: Klimawandel und die Herausforderungen im Gesundheitswesen haben ganz klare Zusammenhänge. Das Gleiche gilt für große Krisen wie Corona oder militärische Konflikte in unserer Nachbarschaft. So eine dauernde Weltkriegsstimmung hat physisch und psychisch starke Effekte auf den Einzelnen. Das klassische Gesundheitswesen ist aber bis dahin gar nicht oder nur ungenügend darauf eingestellt.
Wenn eine Pflegekraft 50 Patienten betreuen muss, kann sie gegen Angst und Einsamkeit nur wenig tun.
Aber noch weniger, wenn sie selbst jede Stunde die Temperatur der Medikamente im Kühlschrank überprüfen muss, wie das heute noch in den meisten Pflegeheimen der Fall ist. Das kann doch auch ein Roboter tun. Der kann zudem auch gleich noch die richtige Medikation für jeden einzelnen Patienten zusammenstellen
Klingt ja nach einem wunderbaren Team von Mensch und Maschine. Wird es also in einem Krankenhaus oder Pflegeheim in 20 Jahren grundlegend anders aussehen als heute?
Wahrscheinlich wird es ja auch in 20 Jahren noch irgendwo ein kaputtes Fax oder eine Krankenakte mit Kaffeeflecken drauf geben. Aber dennoch wird sich das gesamte Gesundheitswesen durch die beschriebenen Veränderungen deutlich dynamischer wandeln, als wir uns das heute vorstellen können. KI, Sensorik, Cloud-Computing und Robotik gehören dann genauso selbstverständlich dazu wie der neueste Computertomograf, neue Pharmazeutika oder eine Gentherapie. Und wir werden immer öfter einer Behandlung im klassischen Gesundheitswesen erst digitale Anwendungen vorschalten. Die notwendige OP lässt sich so natürlich nicht umgehen. Aber vielleicht kommt es ja dadurch gar nicht erst dazu, dass sie notwendig wird.
Foto: DXM Group
Zur Person
David Matusiewicz ist Professor für Medizinmanagement an der FOM Hochschule in Essen. Seit 2015 verantwortet er als Dekan den Hochschulbereich Gesundheit & Soziales und leitet als Direktor das Forschungsinstitut für Gesundheit & Soziales (ifgs). Er ist zudem Gründungsmitglied des Center for Innovation, Business Development & Entrepreneurship (CIBE) an der Hochschule. Darüber hinaus ist er Founder und CEO der DXM Group, die technologiegetriebene Start-ups im Gesundheitswesen berät und in diese investiert. Matusiewicz ist zudem in verschiedenen Beiräten und Aufsichtsräten von Digitalunternehmen, die sich mit der digitalen Transformation des Gesundheitswesens beschäftigen.
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