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20.03.2023

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5 Min.

Der englische Patient

Text:

Drei Jahre nach dem formalen Austritt aus der EU steckt Großbritannien in der Krise. Streiks, Regierungswechsel und schwache Märkte setzen dem Land zu. Von englischen Parteien wird der Brexit aber kaum infrage gestellt. 

Natürlich gibt es auch sie, die optimistischen Nachrichten. Zum Beispiel die jüngste, dass der Streit um den Warenverkehr zwischen Großbritannien und dem zum EU-Binnenmarkt zählenden Nordirland endlich beigelegt ist. Oder aus britischer Sicht die Entscheidung des deutschen Impfstoffherstellers Biontech, seine Krebsforschung von Mainz nach London zu verlagern. Aber beides sind Ausnahmen. Die Regel sieht anders aus.

Das Gesamtergebnis des Brexits bilanziert die OECD jedenfalls so: Von allen sieben großen Industrienationen (G7) weist das Land das geringste Wachstum und die höchste Inflation aus. Um aus der Krise herauszukommen, fordern britische Konservative, dass die Menschen im Land den Gürtel enger schnallen. 

Doch einige scheinen schon beim letzten Loch angekommen zu sein: In den alten Industriestädten in Nordengland herrscht eine Atmosphäre, die der auf der Insel beliebte Talkshow-Moderator James O’Brien mit der bitteren Armut zur Zeit der Industrialisierung vergleicht, wie sie Charles Dickens in seinem Werk „Oliver Twist“ vor fast 200 Jahren beschrieben hat. 

Auch Beobachter wie die Analysten der Landeszentrale für politische Bildung in Baden-Württemberg kommen in einer Studie von Ende Februar zu dem Schluss, dass die konservative Regierung keines ihrer Brexit-Ziele erreicht hat. Dazu zählten weniger Verwaltung, weniger Zuwanderung, geringere Steuern und bessere bilaterale Handelsabkommen. Tatsächlich ist der Nutzen aus neuen Handelsabkommen, wie das mit Australien, im Vergleich zu den Verlusten im Handel mit der EU winzig. Weniger als zwei Drittel des Außenhandelsvolumens sind bislang durch Post-Brexit-Handelsverträge abgedeckt. Der größte Hebel, ein Handelsabkommen mit den USA, ist bisher nicht zustande gekommen. So hat der Brexit zu einer turbulenten politischen Periode geführt, mit bislang zwei vorgezogenen Neuwahlen und vier Rücktritten der „Prime Minister“ David Cameron, Theresa May, Boris Johnson und Liz Truss. Dennoch stellt keine der großen Parteien den EU-Austritt mehr infrage.

Haushalte sind ärmer geworden

Der Austritt habe, so bilanziert die Landeszentrale, zu deutlich höheren Kosten für Verwaltung, Logistik, Zölle, Finanzierung und IT-Anpassungen bei gleichzeitig gesunkenen Umsatzerlösen geführt. Unternehmen klagen, dass ihnen aufgrund der verschärften Einwanderungsregeln Arbeitskräfte aus Süd- und Osteuropa fehlen. Haushalte sind ärmer geworden, die Investitionen stagnieren und die Handelsbarrieren zum größten Absatzmarkt – der EU – haben den Warenverkehr um geschätzte 10 bis 15 Prozent einbrechen lassen. Seit 2017, dem ersten Jahr nach dem Brexit-Referendum, sinkt die Bedeutung des Königreichs als Handelspartner für Deutschland kontinuierlich. Damals lag es noch auf Platz fünf der wichtigsten Außenhandelspartner, seit 2022 ist Großbritannien nicht mehr in den Top Ten der Handelspartner vertreten.

Auch der Wert des Pfunds ist seit dem EU-Referendum um etwa zehn Prozent gefallen. Und angesichts der bevorstehenden Rezession, steigender Finanzierungskosten und einer Anhebung der britischen Körperschaftssteuer von 19 auf 25 Prozent im April 2023 ist keine Trendwende in Sicht. „Wirtschaftliche Belastungen durch den Brexit sowie die Unabhängigkeitsbestrebungen der Schotten bringen Abwertungsrisiken für das britische Pfund mit sich“, schreibt Deka-Analystin Marina Lütje in ihrem jüngsten Report zum Brexit. Sie lobt aber den Nordirland-Deal. Er habe dank deutlichem Entgegenkommen der EU „den befürchteten Handelsstreit zwischen London und Brüssel vermieden: Eine Sorge weniger für die britische Wirtschaft, deren Ausblick aufgrund der hohen Inflation und gestiegener Zinsen ohnehin schon trüb genug ist“. Laut Prognose der Bank of England wird das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ab 2023 eineinhalb Jahre lang schrumpfen.

Die aktuelle Regierung von Premierminister Rishi Sunak räumt ein, dass die britische Wirtschaft aufgrund von Corona, der ausufernden Inflation wegen der Energiepreiskrise und des Ukrainekriegs in der Rezession steckt. Den Brexit als Ursache für die Misere erwähnen die Regierenden nicht – im Gegensatz zu Wirtschaftsvertretern. Nach Angaben der Vereinigung Federation of Small Businesses hat einer von acht Exporteuren wegen des Brexits zeitweise oder endgültig seine Verkäufe in die EU eingestellt und ein weiteres Zehntel erwägt dies. „Großbritannien wird zwar nicht plötzlich in einen Abgrund stürzen“, sagt Jonathan Portes, früher Chefökonom der Regierung und heute Wirtschaftsprofessor am King’s College in London, „die Gefahr ist jedoch, dass wir wie Italien in eine lange Phase wirtschaftlicher Stagnation abgleiten.“

Fachkräfte fehlen und Löhne steigen

Sogar dort, wo sonst der Pulsschlag des Königreichs unmittelbar gemessen werden konnte, in der Londoner City, herrschte kurzfristiges Entsetzen, als die Pariser Börse Mitte November 2022 London vom Thron des wertvollsten Aktienmarktes Europas verdrängte. Seit dem Brexit-Votum haben britische Aktien in jedem Jahr signifikant underperformt. Die US-Investmentbank Goldman Sachs kommt aktuell zu dem Schluss: Der Ausstieg aus der EU trage dazu bei, dass britische Aktien mit einem deutlichen Bewertungsabschlag gehandelt werden. Große und kleinere Unternehmen haben gleichermaßen gelitten, aber vor allem bei den Kleinen seien die Brexit-Folgen der Grund für das schlechte Abschneiden. Der Austritt habe dazu geführt, dass Fachkräfte fehlen und die Löhne steigen. Bei den großen Konzernen spielte dagegen eine wichtigere Rolle, dass in London relativ wenige Tech-Firmen und dafür mehr traditionelle Unternehmen notiert sind. Im Jahr 2022 war das ein Vorteil, weil Banken, Öl- und Bergbaufirmen relativ besser liefen.

Foto: dpa/Picture Alliance, Titelfoto: picture alliance / empics | Jordan Pettitt

Rishi Sunak: Der Premier erwähnt den Brexit nicht als Rezessionsursache im Land.

Um die Märkte anzufeuern, arbeitet das Finanzministerium an einem Plan, der unter dem Namen „Big Bang 2.0“ einen Deregulierungsschub bringen soll. Der Name ist eine Anspielung auf die von der ehemaligen Premierministerin Margaret Thatcher 1986 ins Rollen gebrachte Lockerung der Regeln auf dem Finanzmarkt. Mit einem „Fegefeuer“ für Vorschriften aus der Zeit der EU-Mitgliedschaft will die Regierung den Finanzplatz London jetzt wieder pushen. Dafür sollen nicht nur die Kapitalvorschriften für Versicherer, sondern ebenso die nach der Finanzkrise eingeführte strikte Abgrenzung zwischen Retail- und Investmentbanking gelockert werden. Und auch die Abschaffung des Bonusdeckels für Banker soll helfen. „Die Reformen nutzen unsere Brexit-Freiheiten“, sagt Finanzminister Jeremy Hunt.

Doch die City ist nicht Großbritannien. Im Land herrscht die große Desillusion, die zu einer Streikwelle im öffentlichen Dienst führt, wie sie die Briten seit dem berüchtigten „Winter des Missvergnügens“ 1978/79 nicht mehr erlebt haben. Nicht nur Eisenbahner und Postboten sind auf den Barrikaden. Von Pflegenden über Mitarbeitende der Grenzpolizei bis hin zu Fahrlehrerinnen und -lehrer – das ganze Land geht in den Ausstand. Anders als im Privatsektor sind die Gehälter im öffentlichen Dienst nach Abzug der Inflation in den vergangenen zwölf Jahren stetig gesunken. Viele Streikende sehen ihren Arbeitskampf deshalb als Notwehr. 

17 Prozent mehr Lohn gefordert

Als „unvernünftig“ brandmarkt dagegen Premier Sunak die Lohnforderungen und setzt Militär gegen die Streikenden ein. Gut 17 Prozent mehr Lohn verlangt die Gewerkschaft. Auch wenn es sich offiziell nicht um einen Generalstreik handelt: Für viele Briten fühlt es sich so an. Paul Johnson, Direktor des Institute for Fiscal Studies (IFS) in London und so etwas wie der Guru der Finanzpolitik, sagt dem Königreich eine „lange, harte, unangenehme“ Reise voraus, die durch höhere Abgaben, Einkommensverluste und Einschränkungen bei den öffentlichen Dienstleistungen gekennzeichnet sein werde: „Wir bekommen jetzt die Quittung für eine langfristige Wachstumsschwäche – und für den Brexit.“

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