Sie nutzen aktuell den Internet Explorer. Dieser Webbrowser ist veraltet und entspricht nicht den aktuellen Sicherheitsstandards. Außerdem werden viele aktuelle Designstandards nicht unterstützt.

Für eine sichere und schnelle Nutzung unseres Angebots verwenden Sie bitte einen aktuellen Browser.

25.03.2024

|

5 Min.

„Der Mittelstand ist ein deutsches Märchen“

Text:

Im Interview mit fondsmagazin erklärt der österreichische WIFO-Professor Gabriel Felbermayr, was mit der Wirtschaft in der EU nicht stimmt, wie sich die Inflation entwickelt, warum die Banken viel besser aufgestellt sind als 2008, wie uns Ängste blockieren und wieso der Mittelstand eigentlich aus Großkonzernen besteht.

Herr Professor Felbermayr, wie passt es zusammen, dass Deutschland in einer Phase der Rezession oder bestenfalls Stagnation steckt, der Deutsche Aktienindex aber einen Rekord nach dem anderen einfährt?

Das „D“ im Dax muss man relativieren. Die Unternehmen, die in dem Index vertreten sind, machen den größten Teil ihres Geschäfts nicht in Deutschland. Der deutsche Standort ist zwar noch wichtig für sie, aber nicht mehr entscheidend, denn er schwächelt stark. Eigentlich müsste aus dem Dax ein Gax werden, wobei das „G“ für global stünde.

Was läuft denn falsch in Deutschland und Europa?

In der EU besteht das Problem, dass keine echte Kapitalmarktunion entwickelt wurde. Da gilt es, eine viel tiefere Integration zu schaffen. Es gibt 27 unterschiedliche Insolvenzordnungen in der EU und 27 unterschiedliche Steuersysteme. Dazu 27 unterschiedliche Börsen, die eher Konkurrenten als Partner sind. In Wirklichkeit hat die EU keinen gemeinsamen Markt, und sie ist lange nicht so integriert wie China oder die Vereinigten Staaten. Wir, also die EU, müssen da viel tiefer dringen. Deutschland hat Überschüsse in der Leistungsbilanz von sechs bis sieben Prozent des BIP pro Jahr. Das ist immer auch ein Zeichen für wenig attraktive Finanzmärkte. Mehr Kapital verlässt Deutschland, um im Ausland investiert zu werden, als umgekehrt reinkommt. Für die EU insgesamt ist die Situation ähnlich, wenn auch weniger krass. Der EU-Finanzmarkt ist sinnlos fragmentiert. Wir verzwergen uns.

Und die Unternehmen gehen anderswo an die Börse, wie der ehemals deutsche Gasehersteller Linde …

… ja. Und schauen Sie sich die Start-ups an. Sie werden mit Steuergeld in Deutschland und Europa angefüttert. Und wenn sie dann richtig wachsen und Geld verdienen wollen, gehen sie in die USA, weil dort die Investoren sind. Das ist doch eine Katastrophe!

Mit der Inflation haben wir in der EU auch unsere Mühe.

Die Inflation wird im Jahr 2024 noch nicht bei zwei Prozent sein, wie der Zielkorridor der EZB das vorgibt. Aber ab 2025 wird sie ihn erreichen und sogar darunterfallen. Wir sind dann wieder da, wo man ein Land mit einer nur sehr schwach wachsenden und stark alternden Bevölkerung vermutet.

Mäßige Inflation, aber kein Wachstum – heißt Ihre Prognose für Deutschland dann Deflation, also die Preise von Waren und Dienstleistungen fallen?

Deutschland wäre damit nicht allein. Siehe Japan, siehe China. Ein Viertel der Länder, die die Weltwirtschaft bestimmen, stecken in Deflationsgefahr.

Aber in anderen Regionen der Eurozone sieht es besser aus. Spanien performt mit sehr auskömmlichen Wachstumsraten. Das ist bei derselben Geldpolitik doch verwunderlich.

Stimmt. Eigentlich müssten die erheblichen Lohnsteigerungen der vergangenen Monate auch in Deutschland zu einem Aufschwung führen. Das wird aber nichts, weil die jüngste Inflationskrise zu mehr Unsicherheit bei den Deutschen geführt hat, als wir Ökonomen das erwartet haben. Die Inflation der vergangenen Monate hat ein deutsches Trauma aktiviert. Das sind die langen Schatten der Geschichte. Es wird nicht mehr ausgegeben, sondern die Sparquote wächst. Das ist Psychologie. Es bräuchte einen spürbaren Aufbruch, einen starken Ruck, der durch eine große Reformagenda ausgelöst wird. Das ist leider nicht sichtbar.

Die deutschen Ängste also.

Unsere Ängste blockieren uns. Eine alternde Gesellschaft wie die der Deutschen geht zunehmend auf Nummer sicher. Vor dem Neuen scheut man sich. Diese Risikoaversion hat mit Demografie zu tun. Wir werden älter, unsere Wirtschaft ist nicht mehr so dynamisch. Die typische Konsumentin ist 48, der typische Chef 58. Wahrscheinlich muss man fragen, was ist denn unter diesen Umständen eine realistische Wachstumszahl? Die aktuelle Lage ist sicher schlechter, als sie es sein müsste, aber Wachsen wie ein Schwellenland ist eben schon aus demografischen Gründen nicht mehr machbar.

Trägt zur Krise auch ein wegbrechender Markt für Gewerbe-immobilien bei?

Ja, wir stehen unter dem Signa-Schock, und sicher sind zu der Zeit, als es noch undenkbar war, dass jeder Mitarbeiter zwei Tage in der Woche von zu Hause aus arbeiten kann, zu viele Bürokapazitäten aufgebaut worden. Dazu kommt der Druck aus den zwischenzeitlich gestiegenen Zinsen. So haben manche Banken und Versicherer möglicherweise Gewerbeimmobilien mit nicht mehr realistischen Werten in den Bilanzen. Das ist sicher eine Belastung. Das ist aber nicht die große Erzählung, was die Konjunktur anbelangt. Die Krise bei den Gewerbeimmobilien tut weh und schmälert die Gewinne. Aber ich denke, dass die Banken heute deutlich besser aufgestellt sind als etwa vor der Finanzkrise vor 15 Jahren. Sie haben mehr Puffer, um Schocks zu absorbieren.

Was ist Ihre Prognose für die Zinsentwicklung?

Die Zinswende wird kommen. Das Refinanzieren wird dann wieder leichter. Ich denke, der Zins wird in diesem Jahr um 75 Basispunkte sinken.

Welche Rolle spielen die Energiepreise in Deutschland?

Die energieintensive Industrie in Deutschland befindet sich in einer massiven Rezession. Ihr Produktionsvolumen liegt 20 Prozentpunkte unter dem von 2015. Stellen Sie sich das vor! In anderen EU-Staaten gibt es ähnlich hohe Energiepreise, aber keine solchen Bremsspuren. Das heißt: Die Energiepreise sind ein Riesenthema, aber sie erklären nicht alles.

Sondern?

Deutschland leidet inzwischen unter echten Standortnachteilen, die man in der Politik lange weggeredet hat. Zum Beispiel bei der Besteuerung der Unternehmen, da ist Deutschland in der OECD mittlerweile ganz vorn. Und bei der Bürokratie, da ist Deutschland auch ganz vorn.

Foto: Foto: picture alliance / dpa / Ulrich; Titelfoto: Foto: picture alliance / Stefan Fürtbauer / picturedesk.

Hamburger Wolkenkratzer Elbtower: Das Objekt gehört zur Firmengruppe Signa des österreichischen Milliardärs Benko, die Baustelle ist seit Monaten verwaist.

Das sind alles innenpolitische Entscheidungen.

Die Innenpolitik wirkt absolut auf die Wirtschaft. Sehen Sie die Streiksituation. Deutschland ist nicht mehr das Land des sozialen Friedens. Die ungelösten Verteilungskonflikte drücken auf die Stimmung. Es fehlt das Leadership. Beide Seiten, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, müssten sich hinter einer Zukunftsagenda vereinen.

Und die Energiewende verschärft das noch?

Der Strompreis kann nur weiter runterkommen, wenn der Netzausbau vorankommt. Da hat sich Deutschland aber Verzögerungen geleistet. Wissen Sie, wann die Nord-Süd-Leitungen fertig sind?

Keine Ahnung.

Ende 2028, sagt man. Aber ich würde auch nicht darauf wetten. Und genauso reagieren die Unternehmen auf die Politik. Das Wackeln der Ampelkoalition macht es nicht einfacher. Jeder fragt sich doch: Was passiert danach? Bleibt es bei der Energiewende? Vor diesem Hintergrund sagen sich Investoren: wait and see. Deutschland ist in eine Art Lähmung verfallen. Alle warten ab.

Was halten Sie von der politischen Vorgabe, haushaltstechnisch eine schwarze Null zu schreiben?

Das ist doch nicht mehr zeitgemäß. Die Mehrheit der Ökonomen, und dazu zähle ich auch, empfiehlt: Schulden für Investitionen aufzunehmen, das ist richtig, aber Schulden für Beamtenpensionen oder andere soziale Wohltaten, das ist fatal. Insofern: Ein Sondervermögen für Investition ist keine schlechte Konstruktion. Geld ist aber gar nicht das Problem.

Ach – was dann?

Viel schwieriger ist es: Wie kriege ich Investitionen umgesetzt? Wie binde ich die Bevölkerung ein, dass sie sich nicht gegen Neuerungen wehrt? Woher kommen die Fachkräfte?

Ich frage mal umgekehrt: Was läuft gut in Deutschland?

Das industrielle Können ist in Deutschland nach wie vor vorhanden. Was für den Dax gilt, gilt auch für viele deutsche Familienunternehmen: Sie sind international hervorragend aufgestellt. Sie investieren viel in Forschung und Entwicklung. Manche haben Monopole in ihren Märkten. Marktmacht und Technologie macht es ihnen möglich, die deutschen Kosten zu schultern.

German Mittelstand also?

Der Mittelstand ist ein deutsches Märchen. Die meisten sogenannten mittelständischen Unternehmen in Deutschland sind eigentlich Großkonzerne. Sie sind in ihren Nischen Weltmarktführer. Da gibt es viele Namen. Häufig sind es Familienunternehmen oder Stiftungen. Oft auf dem flachen Land. In Ostwestfalen oder auf der Schwäbischen Alb. Dieses Netz ist noch intakt. Aber es gibt viele Parameter, die auf Dauer dagegensprechen. Schon jetzt gehen Unternehmen wie Stihl in die Schweiz. Dort sind die Arbeitskosten zwar höher, aber die Regulierung ist viel einfacher.

Welche Rolle spielt die Geopolitik?

Geopolitische Spannungen kann man nicht eigenständig beseitigen, im Gegensatz zu all den hausgemachten Problemen, die man ja abschalten könnte. Und eine labile geopolitische Lage trifft ein exportgetriebenes Modell wie das deutsche hart. Deswegen produzieren viele deutsche Unternehmen inzwischen weltweit vor Ort. Das ist für Unternehmen okay, aber für Wertschöpfung in Deutschland ein Problem.

Titelfoto: picture alliance / Stefan Fürtbauer / picturedesk

Artikel, die mit Namen oder Signets des Verfassers gekennzeichnet sind stellen nicht unbedingt die Meinung der Redaktion dar. Trotz sorgfältiger Auswahl der Quellen kann die Redaktion für die Richtigkeit des Inhalts keine Haftung übernehmen. Die Angaben dienen der Information und sind keine Aufforderungen zum Kauf oder Verkauf von Wertpapieren.
Die Kostendarstellung aller auf den Tabellenseiten aufgeführten Fonds erfüllt nicht die Anforderungen an einen aufsichtsrechtlich vorgeschriebenen Kostenausweis. Umfassende Informationen zu Kosten sind in den Kosteninformationen nach WpHG oder bei den Kundenberatern und Kundenberaterinnen erhältlich.

Allein verbindliche Grundlage für den Erwerb von Deka Investmentfonds sind die jeweiligen PRIIP-KIDs (Basisinformationsblätter), die jeweiligen Verkaufsprospekte und die jeweiligen Berichte, die in deutscher Sprache bei den Sparkassen oder der DekaBank Deutsche Girozentrale, 60625 Frankfurt am Main und unter www.deka.de erhältlich sind. Eine Zusammenfassung der Anlegerrechte in deutscher Sprache inklusive weiterer Informationen zu Instrumenten der kollektiven Rechtsdurchsetzung ist unter www.deka.de/privatkunden/kontaktdaten/kundenbeschwerdemanagement verfügbar. Die Verwaltungsgesellschaft des Investmentfonds kann jederzeit beschließen, den Vertrieb zu widerrufen.

Herausgeber: DekaBank, Mainzer Landstraße 16, 60325 Frankfurt am Main, www.dekabank.de

Chefredakteur: Olivier Löffler (V. i. S. d. P.)

Projektleitung: Ralf Kustermann

Verlag: S-Markt & Mehrwert GmbH & Co. KG. - Ein Unternehmen der Sparkassen-Finanzgruppe, Grenzstraße 21, 06112 Halle, www.deka.de/fondsmagazin, E-Mail: fondsmagazin@deka.de, Fax: +49 345560-6230 

Postanschrift: fondsmagazin Leserservice, Grenzstraße 21, 06112 Halle

Redaktion: : Pamela Kapfenstein, Matthias Grätz, Annekatrin Lacroix, Thomas Luther, Michael Merklinger, Peter Weißenberg 

Grafik/Infografiken: KD1 Designagentur, Köln

Sie möchten uns schreiben? Schicken Sie Ihre Anregungen, Ideen und natürlich auch Kritik einfach per E-Mail an fondsmagazin@deka.de.